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Mit Verfassungs(Recht) gegen Armut:
Wasser- und Tierschutz kommen in die Verfassung oder: wo bleiben die Menschen?

Wien, 24.5.2013

Sehr geehrte Damen und Herren,
sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen,
liebe Freunde,

Die österreichischen Medien haben gestern eine  dramatische positive Weiterentwicklung der österreichischen Verfassung in einer Dreiparteienübereinkunft vermeldet. So titelt der ORF (https://news.orf.at/#/stories/2183636/ ): „Wasser-und Tierschutz kommen in die Verfassung“. Zum Thema Tierschutz werde im Gesetz schlichtweg festgestellt: „Die Republik Österreich bekennt sich zum Tierschutz.“

Wasser-und Tierschutz ist zu begrüßen

Ich bekenne mich hundertprozentig zu Wasser-und Tierschutz. Viele werden es vielleicht gar nicht wissen, dass es bereits seit Jahrhunderten (auch nach Kant) eine Tierrechte-Philosophie gibt. Ich selbst war als Rechtsvertreter auch ganz zu Anfang in die Verfahren gegen die Tierschützer involviert. Im diesbezüglichen Gerichtsverfahren im Wiener Neustadt konnte bzw. musste ich nicht vertreten, da das Verfahren gegen meine Mandantschaft erfreulicherweise relativ bald eingestellt worden war.

Im Gegensatz zu Mayer, der sich heute äußerte, bin ich sehr wohl der Meinung, dass eine Verankerung von Wasser- und Tierschutz in der Verfassung sinnvoll und auch notwendig ist. Die in der Medien wiedergegebene Meinung Mayers , wonach es nicht angehen könne, dass Richter Wasser-und Tierschutz als Auslegungskriterium an die Hand bekommen, über die dann der Verfassungsgerichtshof zu entscheiden hätte, dürfte wohl auf einem Missverständnis bei der Wiedergabe von Mayer beruhen, da es natürlich im Rechtsstaat Sache der Gerichte und letztlich des Verfassungsgerichtshofes ist, über die Inhalte der Verfassung und ihre Auslegung zu entscheiden. Die Politik als letzte Instanz (im Rechtsstaat, zu dem sich doch jede/r zumindest verbal bekennt) – wenn Mayer so zu verstehen sein sollte – zu wollen, ist völlig verfehlt. Das hat mit Rechtsstaat nichts mehr zu tun. Plädiert Mayer für einen reinen Politikerstaat? Will Mayer einen Politikerstaat anstatt des Rechtsstaats? Meines Wissens ist er rechtspositivistisch orientiert, was seine Meinung umso unverständlicher machte.

Kein Menschenschutz und keine Menschenwürde in der österreichischen Verfassung

Ich darf jedoch diese Gelegenheit wahrnehmen, bekanntzumachen, dass es in der österreichischen Verfassung – im Gegensatz zu Deutschland – immer noch keine Bestimmung zum umfassenden Menschenschutz gibt. Dieser bestünde darin, die nach Art. 1 der UNO-Menschenrechtsdeklaration formulierte Menschenwürde nach dem Wortlaut des deutschen Grundgesetzes: »Die Würde des Menschen ist unantastbar.“ in der österreichischen Verfassung zu verankern. Ich gestatte mir den rechtshistorischen Hintergrund der UNO-Menschenrechtsdeklaration in Erinnerung zu rufen. In einem beinahe einmaligen Grundkonsens der Staatengemeinschaft wurde dieser Menschenrechtspakt aufgrund der Gräuel der Naziherrschaft, damit es nie mehr wieder dazu kommen sollte, zu Stande gebracht

Vielleicht hat sich Österreich mit seiner Art der Vergangenheitsbewältigung als 1. Opfer des Nationalsozialismus im Gegensatz zu Deutschland, wo an aller 1. Stelle im Grundgesetz verankert ist

„Die Würde des Menschen ist unantastbar. Sie zu achten und zu schützen ist Verpflichtung aller staatlichen Gewalt.“

nicht verpflichtet gesehen, der Menschenwürde als Rechtsprinzip und Notwendigkeit Rechnung zu tragen. Tatsächlich ist es so, dass im österreichischen juristischen Diskurs die Menschenwürde beharrlich (mehr noch als die eigene Vergangenheit, die schon eine gewisse Aufarbeitung erfährt) verdrängt wird. So kam es dazu, dass beispielsweise auf der Frühjahrstagung der Österreichischen Juristenkommission vom 5. bis 7. Mai 2005 in Weißenbach am Attersee  mit dem Tagungsthema: „Aktuelle Fragen des Grundrechtsschutzes“, dass bei dieser Veranstaltung auch von namhaften Universitätsprofessoren der österreichischen rechtswissenschaftlichen Szene die rechtliche Relevanz der Menschenwürde in Österreich negiert wurde. Ich als kleiner Rechtsanwender hatte zu jener Zeit noch die Möglichkeit, darauf hinzuweisen, dass die Menschenwürde in Österreich in Gesetzen – und zwar in den Sozialhilfegesetzen der Länder meistens im 1. Paragraphen – sehr wohl vorgesehen und als rechtliches Auslegungskriterium gilt, was mit Erstaunen wahrgenommen wurde, da praktisch niemand auf der Tagung Kenntnis von Sozialhilfegesetzen hatte (obwohl man über sie sprach), da man damit juristisch im allgemein nichts zu tun hat. Ich habe dann auf dieser Veranstaltung auch kritisiert, dass der Verwaltungsgerichtshof entgegen den Gesetzeswortlautes der Landessozialhilfegesetzen nicht die Menschenwürde als Standard heranzieht sondern, das Pferd vom Schwanz aufzäumt und dem Menschen so viel Menschenwürde zubilligt, wie die Sozialhilferichtsätze gerade ausmachen. Einfacher ausgedrückt anstatt die Sozialhilferichtsätze auf die Gewährleistung der Menschenwürde zu prüfen, gibt der Verwaltungsgerichtshof so viel Menschenwürde, wie die Sozialhilferichtsätze gerade hoch sind (diese Auseinandersetzung ist auch im Tagungsband der Veranstaltung nachzulesen). Das sind doch tolle österreichische Lösungen. Das ist der österreichische Weg.

Restbestände der Menschenwürde in österreichischen Gesetzen werden beseitigt

Mit den diversen Mindestsicherungsgesetz wurde nunmehr auch im Sozialhilferecht (insbesondere auch in Wien, dass sich politisieren -selbstdarstellerisch als Sozialhauptstadt Europas bezeichnet) die Menschenwürde auch aus diesem Rechtsbestand entfernt. Der Vollständigkeit und Korrektheit halber muss gesagt werden, dass das niederösterreichische Mindestsicherungsgesetz die Menschenwürde nicht beseitigte.

Österreich ist nicht nur im Fußball im Vergleich zu Deutschland dramatisch schlecht geworden, sondern auch im Vergleich der Verfassungsgerichte

Zuletzt hatte ich auf einer Tagung ( BAWO Fachtagung  2013 - Forum: Rechtsverlust in der Wohnungslosenhilfe) die traurige Verpflichtung einen Tiefpunkt in der Judikatur des Verfassungsgerichtshofes zu referieren, dass dieses österreichischen Höchstgerichts im Gegensatz zu Deutschland mit der Menschenwürde als Rechtsbegriff nichts anzufangen weiß.

Wer es nicht glaubt, möge schlichtweg nachlesen:

  1. das deutsche Bundesverfassungsgericht zum Recht auf ein menschenwürdiges Leben s.  https://www.bundesverfassungsgericht.de/entscheidungen/ls20100209_1bvl000109.htm
  2. im Vergleich dazu das juristische Armutszeugnis des österreichischen Verfassungsgerichtshofes zur Prüfung des Wiener Mindestsicherungsgesetzes: https://www.ris.bka.gv.at/Dokument.wxe?Abfrage=Vfgh&Dokumentnummer=JFR_09878794_11B01094_01

Wie ich zuletzt in Diskussionen mit Universitätsprofessoren des öffentlichen Rechts feststellen musste, besteht auch auf dieser Ebene eine dramatische Unkenntnis darüber, was ein Verfassungsgerichtshof im Rahmen einer aufgetragenen Prüfung nach Sachlichkeitsgeboten leisten müsste. Wenn das deutsche Bundesverfassungsgericht eine Verfassungsprüfung vornimmt, zieht es Experten (beispielsweise im Familienrecht einen Experten der Kinderpsychologie und Väterforscher Fthenakis ) bei. Derartiges ist im österreichischen Verfassungsgerichtshof, der nur sehr sporadisch überhaupt mündliche Verhandlungen durchführt, praktisch fremd. Mit diesen Defiziten beschäftigt sich in Österreich die Rechtswissenschaft nicht.

Forderungen zur Verwirklichung des Menschenschutzes in Österreich

  1. Verankerung der Menschenwürde in der österreichischen Verfassung wie in Deutschland (Art. 1 deutsches Grundgesetz)
  2. Verankerung des Sozialstaatsprinzips wie in Deutschland (Art. 20 Abs. 1 Grundgesetz) in der Verfassung
  3. Verankerung des Menschenrechts auf Wohnen nach Art. 25 UNO-Menschenrechtsdeklaration in der Verfassung
  4. Ratifizierung der Artikel 30 und 31 der revidierten europäische Sozialcharta (zur Umsetzung des Menschenrechts auf Wohnen)

Brauchen wir in Österreich im Rechtswesen auch mehr als 300 Jahre, um deutschen Standard zu erreichen, wie im Fußball?

Zum Abschluss ein neuerlicher Vergleich zwischen den Disziplinen Fußball und Rechtswissenschaft/Rechtspflege:

Ein namhafter deutscher Fußballtrainer vermeinte auf die Frage eines österreichischen Sportreporters (ebenfalls dieser Tage), ob Österreich innerhalb von 300 Jahren eine Mannschaft in ein Champions League Finale bringen werde, dass damit nicht zu rechnen sei, worauf der österreichische Reporter vermeinte: „dann eben 400 Jahre“.

Im Fußball ist viel Aufwand erforderlich, um deutsches Niveau zu erreichen. Im Gegensatz dazu braucht Österreichs Verfassungsgesetzgeber nur die erwähnten Bestimmungen des deutschen Grundgesetzes abzuschreiben, um auf deutsches Niveau zu kommen. Freilich bedarf es auch einer geistigen-menschenrechtlichen Veränderung, schlichtweg einer Haltungsänderungen zu Menschenrechten und zu Menschenwürde in Österreich, vor allem der Politik und der Rechtswissenschaft. Aber es ist – im Gegensatz zum Fußball – machbar, auf deutsches Niveau zu kommen und zwar innerhalb weniger Jahre. Vielleicht gibt es eine Allparteieneinigung zur Interimplementierung der Menschenwürde in die Verfassung?

Wie ich mittlerweile gezwungenermaßen Menschenwürde-Standards betreffend die Arbeit des deutschen Bundesverfassungsgerichts beobachte und mich an dessen menschenrechtlich-weltmeisterlichen Arbeit erfreuen darf, sehe ich mir morgen das innerdeutsche Champions League Finale in London an. Auch da schlägt mein Herz für die Mannschaft des kleinen Mannes.

Mit freundlichen (kollegialen) Grüßen

Rechtsanwalt
Dr. Herbert Pochieser eh.
Schottenfeldgasse 2-4
A-1070 Wien
Tel.: ++43 1 5238667
Fax: ++43 1 5238667-10

s1@hpochieser.at <mailto:ra@hpochieser.at>

Rechtsanwaltscode: R110832

Kanzleistunden:
Mo - Do 9-12 u. 14 - 17; Fr 9 - 12 Uhr
Termine nach telefonischer Vereinbarung

 

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