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Übereinkommen 29: Übereinkommen über Zwangs- oder Pflichtarbeit, 1930
Die Allgemeine Konferenz der Internationalen Arbeitsorganisation,
die vom Verwaltungsrat des Internationalen Arbeitsamtes nach Genf
einberufen wurde und am 10. Juni 1930 zu ihrer vierzehnten Tagung
zusammengetreten ist, hat beschlossen, verschiedene Anträge anzunehmen
betreffend Zwangs- oder Pflichtarbeit, eine Frage, die zum ersten
Gegenstand ihrer Tagesordnung gehört, und dabei bestimmt, daß diese
Anträge die Form eines internationalen Übereinkommens erhalten sollen.
Die Konferenz nimmt heute, am 28. Juni 1930, das folgende Übereinkommen
an, das als Übereinkommen über Zwangsarbeit, 1930, bezeichnet wird,
zwecks Ratifikation durch die Mitglieder der Internationalen
Arbeitsorganisation nach den Bestimmungen der Verfassung der
Internationalen Arbeitsorganisation:
Artikel 1
- Jedes Mitglied der Internationalen Arbeitsorganisation, das dieses Übereinkommen ratifiziert, verpflichtet sich, den Gebrauch der Zwangs- oder Pflichtarbeit in allen ihren Formen möglichst bald zu beseitigen.
- Bis zur völligen Beseitigung darf Zwangs- oder
Pflichtarbeit während einer Übergangszeit ausschließlich für
öffentliche Zwecke und auch dann nur ausnahmsweise angewandt werden;
dabei sind die in den nachstehenden Artikeln vorgesehenen Bedingungen
und Sicherungen einzuhalten.
- Nach Ablauf von fünf Jahren, gerechnet vom Inkrafttreten
dieses Übereinkommens, und anläßlich des im Artikel 31 vorgesehenen
Berichts hat der Verwaltungsrat des Internationalen Arbeitsamtes zu
prüfen, ob es möglich ist, die Zwangs- oder Pflichtarbeit in allen
ihren Formen ohne weiteren Verzug zu beseitigen, und zu entscheiden, ob
diese Frage auf die Tagesordnung der Konferenz gesetzt werden soll.
Artikel 2
- Als „Zwangs- oder Pflichtarbeit" im Sinne dieses Übereinkommens gilt jede Art von
Arbeit oder Dienstleistung, die von einer Person unter Androhung
irgendeiner Strafe verlangt wird und für die sie sich nicht freiwillig
zur Verfügung gestellt hat.
- Als „Zwangs- oder Pflichtarbeit" im Sinne dieses Übereinkommens gelten jedoch nicht 1 Dieses Übereinkommen ist am 1. Mai 1932 in Kraft getreten.
- jede Arbeit oder Dienstleistung auf Grund der Gesetze über die Militärdienstpflicht, soweit diese Arbeit oder Dienstleistung rein militärischen Zwecken dient,
- jede Arbeit oder Dienstleistung, die zu den üblichen Bürgerpflichten der Bürger eines Landes mit voller Selbstregierung gehört,
- jede Arbeit oder Dienstleistung, die von einer Person auf Grund einer gerichtlichen Verurteilung verlangt
wird, jedoch unter der Bedingung, daß diese Arbeit oder Dienstleistung
unter Überwachung und Aufsicht der öffentlichen Behörden ausgeführt
wird und daß der Verurteilte nicht an Einzelpersonen oder privaten Gesellschaften und Vereinigungen verdingt oder ihnen sonst zur Verfügung gestellt wird,
- jede Arbeit oder Dienstleistung in Fällen höherer Gewalt, nämlich im Falle von Krieg oder wenn Unglücksfälle eingetreten sind oder drohen, wie Feuersbrunst,
Überschwemmung, Hungersnot, Erdbeben, verheerende Menschen- und
Viehseuchen, plötzliches Auftreten von wilden Tieren, Insekten- oder
Pflanzenplagen, und überhaupt in allen Fällen, in denen das
Leben oder die Wohlfahrt der Gesamtheit oder eines Teiles der
Bevölkerung bedroht ist,
- kleinere Gemeindearbeiten, die unmittelbar dem Wohle der Gemeinschaft dienen, durch ihre Mitglieder ausgeführt werden und daher zu den üblichen Bürgerpflichten
der Mitglieder der Gemeinschaft gerechnet werden können, unter der
Voraussetzung, daß die Bevölkerung oder ihre unmittelbaren Vertreter
berechtigt sind, sich über die Notwendigkeit der Arbeiten zu äußern.
Artikel 3
Als „zuständige Stelle" im Sinne dieses Übereinkommens gilt
entweder eine Stelle des Mutterlandes oder die oberste Zentralstelle
des betreffenden Gebietes.
Artikel 4
- Die zuständige Stelle darf Zwangs-
oder Pflichtarbeit zum Vorteile von Einzelpersonen oder privaten
Gesellschaften und Vereinigungen weder auferlegen noch zulassen.
- Besteht derartige Zwangs- oder Pflichtarbeit zum Vorteile
von Einzelpersonen oder privaten Gesellschaften und Vereinigungen zu
dem Zeitpunkt, in dem die Ratifikation dieses Übereinkommens durch ein
Mitglied vom Generaldirektor des Internationalen Arbeitsamtes
eingetragen wird, so hat das Mitglied diese Zwangs- oder Pflichtarbeit
mit dem Zeitpunkt völlig zu beseitigen, in dem dieses Übereinkommen für
das Mitglied in Kraft tritt.
Artikel 5
- Einzelpersonen oder privaten Gesellschaften und
Vereinigungen erteilte Konzessionen dürfen nicht dahin führen, daß
Zwangs-oder Pflichtarbeit in irgendeiner Form zur Gewinnung,
Herstellung oder Sammlung von Erzeugnissen auferlegt wird, die diese
Einzelpersonen oder privaten Gesellschaften und Vereinigungen verwenden
oder mit denen sie Handel treiben.
- Bestehen Konzessionen mit Bestimmungen, wonach eine
derartige Zwangs- oder Pflichtarbeit auferlegt werden kann, so sind
diese Bestimmungen so bald als möglich aufzuheben, um dem Artikel 1
dieses Übereinkommens zu genügen.
Artikel 6
Beamte der Verwaltung dürfen, auch wenn es ihre Aufgabe ist,
die ihrer Verantwortung unterstellte Bevölkerung zur Annahme von Arbeit
irgendeiner Form zu ermuntern, weder auf die Gesamtbevölkerung noch auf
einzelne Personen einen Druck ausüben, um sie zur Arbeitsleistung für
Einzelpersonen oder private Gesellschaften und Vereinigungen zu
veranlassen.
Artikel 7
- Häuptlinge, die keine Verwaltungsbefugnis ausüben, dürfen von Zwangs- oder Pflichtarbeit keinen Gebrauch machen.
- Häuptlinge, die Verwaltungsbefugnis ausüben, dürfen mit
ausdrücklicher Ermächtigung der zuständigen Stelle Zwangs- oder
Pflichtarbeit unter den Bedingungen des Artikels 10 dieses
Übereinkommens in Anspruch nehmen.
- Häuptlinge, die als solche rechtmäßig anerkannt sind und
nicht eine angemessene Entschädigung in anderer Form erhalten, dürfen
persönliche Dienste empfangen, sofern diese ordnungsgemäß geregelt und
die notwendigen Maßnahmen zur Vermeidung von Mißbräuchen ergriffen
worden sind.
Artikel 8
- Für jede Ermächtigung, Zwangs- oder Pflichtarbeit in
Anspruch zu nehmen, ist die oberste Zivilbehörde des betreffenden
Gebietes verantwortlich.
- Diese Behörde kann jedoch den örtlichen Oberbehörden die
Befugnis übertragen, Zwangs- oder Pflichtarbeit in den Fällen
aufzuerlegen, in denen die Arbeiter durch diese Arbeit nicht von ihrem
üblichen Aufenthaltsort entfernt werden. Sie kann ferner den örtlichen
Oberbehörden für Zeitabschnitte und unter Bedingungen, wie sie Artikel
23 dieses Übereinkommens vorsieht, die Ermächtigung erteilen, Zwangs-
oder Pflichtarbeit aufzuerlegen, zu deren Ausführung die Arbeitnehmer
sich von ihrem üblichen Aufenthaltsort entfernen müssen, wenn es sich
darum handelt, Dienstreisen der Verwaltungsbeamten oder die Beförderung
von Regierungsgut zu erleichtern.
Artikel 9
Soweit Artikel 10 dieses Übereinkommens nichts anderes
bestimmt, kann die Behörde, der das Recht zusteht, Zwangs- oder
Pflichtarbeit aufzuerlegen, die Anwendung dieser Arbeitsform nur
gestatten, wenn sie sich zuvor vergewissert hat, daß
- die Arbeit oder Dienstleistung von wesentlicher, unmittelbarer Bedeutung für die Gemeinschaft ist, die sie ausführen soll,
- die Arbeit oder Dienstleistung bereits notwendig ist oder diese Notwendigkeit unmittelbar bevorsteht,
- es unmöglich gewesen ist, freiwillige Arbeitskräfte für die Arbeit oder Dienstleistung zu erhalten, obgleich die angebotenen
Löhne und übrigen Arbeitsbedingungen denjenigen wenigstens gleichwertig
waren, die in dem betreffenden Gebiete für Arbeiten oder
Dienstleistungen gleicher Art üblich sind,
- durch die Arbeit oder Dienstleistung die gegenwärtige
Bevölkerung nicht übermäßig belastet wird, wobei die Zahl der
verfügbaren Arbeitskräfte und ihre Eignung für die geforderte Arbeit zu
berücksichtigen ist.
Artikel 10
- Zwangs- oder Pflichtarbeit, die als Steuer gefordert, und
solche, die für öffentliche Arbeiten von Häuptlingen in Ausübung von
Verwaltungsbefugnissen beansprucht wird, ist mehr und mehr abzuschaffen.
- Unterdessen haben die beteiligten Behörden, wenn Zwangs-
oder Pflichtarbeit als Steuer gefordert oder von Häuptlingen in
Ausübung von Verwaltungsbefugnissen für öffentliche Arbeiten
beansprucht wird, sich vorher zu überzeugen, daß
- die Arbeit oder Dienstleistung von wesentlicher, unmittelbarer Bedeutung für die Gemeinschaft ist, die sie ausführen soll,
- die Arbeit oder Dienstleistung bereits notwendig ist oder diese Notwendigkeit unmittelbar bevorsteht,
- durch die Arbeit oder Dienstleistung die gegenwärtige
Bevölkerung nicht übermäßig belastet wird, wobei die Zahl der
verfügbaren Arbeitskräfte und ihre Eignung für die geforderte Arbeit zu
berücksichtigen ist,
- die Arbeit oder Dienstleistung die Arbeiter nicht nötigt, sich von ihrem üblichen Aufenthaltsort zu entfernen,
- bei Durchführung der Arbeit oder Dienstleistung den
Ansprüchen der Religion, des Gemeinschaftslebens und der Landwirtschaft
Rechnung getragen wird.
Artikel 11
- Nur erwachsene, arbeitsfähige Personen männlichen Geschlechtes,
die offenbar nicht unter achtzehn und nicht über fünfundvierzig Jahre
alt sind, dürfen zu Zwangs- oder Pflichtarbeit herangezogen werden.
Abgesehen von den in Artikel 10 dieses Übereinkommens bezeichneten
Arten von Arbeiten sind dabei die folgenden Beschränkungen und
Bedingungen zu berücksichtigen:
- Wenn immer möglich, ist durch einen von der Verwaltung
hierzu bestimmten Arzt vorher festzustellen, daß die betreffenden
Personen nicht an ansteckenden Krankheiten leiden und zu der von ihnen
verlangten Arbeit unter den Verhältnissen, unter denen diese Arbeit zu
leisten ist, körperlich fähig sind;
- Schullehrer und Schüler sowie das gesamte Verwaltungspersonal sind auszunehmen;
- die Zahl von erwachsenen, arbeitsfähigen Männern, die
notwendig ist, um das Familien- und Gemeinschaftsleben
aufrechtzuerhalten, ist in jeder Gemeinschaft zu belassen;
- auf das Ehe- und Familienband ist Rücksicht zu nehmen.
- Die Durchführungsvorschriften, die im Sinne des obigen
Absatzes c) und auf Grund des Artikels 23 dieses Übereinkommens zu
erlassen sind, haben den Anteil der ansässigen, arbeitsfähigen
männlichen Personen festzulegen, der jeweils zur Zwangs- oder
Pflichtarbeit herangezogen werden darf. Dieser Anteil darf keinesfalls
25 vom Hundert überschreiten. Bei Festsetzung dieses Anteiles hat die
zuständige Stelle die Dichte der Bevölkerung, ihre soziale und
körperliche Entwicklungsstufe, die Jahreszeit und die Arbeiten zu
berücksichtigen, welche die betreffenden Personen an ihrem Wohnsitz für
sich zu verrichten haben, überhaupt ist den üblichen wirtschaftlichen
und sozialen Lebensbedürfnissen der betreffenden Gemeinschaft Rechnung
zu tragen.
Artikel 12
- Die Höchstdauer, für die eine Person zu Zwangs- oder Pflichtarbeit aller Art herangezogen werden kann, darf sechzig Tage innerhalb von zwölf Monaten nicht überschreiten, und zwar einschließlich der Zeit für den Weg zur Arbeitsstätte und zurück.
- Jeder zur Zwangs- oder Pflichtarbeit herangezogene Arbeiter soll ein Zeugnis erhalten, in dem die Dauer der von ihm geleisteten Zwangs- oder Pflichtarbeit angegeben ist.
Artikel 13
- Die regelmäßige Arbeitszeit von Personen, die zur Zwangs-
oder Pflichtarbeit herangezogen werden, muß die gleiche sein wie für
freie Arbeit; Arbeitsstunden, die über die regelmäßige Arbeitszeit
hinaus geleistet werden, sind zu den gleichen Sätzen zu vergüten, die
für Mehrarbeit freier Arbeiter gelten.
- Ein wöchentlicher Ruhetag ist allen Personen zu gewähren,
die irgendeiner Form von Zwangs- oder Pflichtarbeit unterworfen werden;
dieser Ruhetag soll, soweit wie möglich, mit dem Tage zusammenfallen,
der durch Überlieferung oder Brauch des Landes oder Gebietes als
Ruhetag gilt.
Artikel 14
- Abgesehen von der in Artikel 10 dieses Übereinkommens
bezeichneten Arbeit ist Zwangs- oder Pflichtarbeit in allen ihren
Formen in Geld zu vergüten, und zwar zu
Sätzen, die weder niedriger sind als die für gleichartige Arbeit in dem
Gebiete der Arbeitsverrichtung, noch niedriger als die im
Anwerbungsgebiet üblichen Sätze.
- Wird Arbeit von Häuptlingen in Ausübung von
Verwaltungsbefugnissen auferlegt, so ist die Entlohnung möglichst bald
den Bestimmungen des vorstehenden Absatzes anzupassen.
- Die Löhne sind unmittelbar dem einzelnen Arbeiter und nicht ihren Häuptlingen oder sonstigen Obrigkeiten auszuzahlen.
- Die Reisetage zum Arbeitsort und zurück sind für die Lohnzahlung als Arbeitstage zu rechnen.
- Die Bestimmungen dieses Artikels schließen nicht aus, daß
Arbeitern die üblichen Nahrungsmengen in Anrechnung auf den Lohn
verabfolgt werden; diese Nahrungsmengen müssen jedoch der Geldsumme, an
deren Stelle sie treten, mindestens gleichwertig sein. Unzulässig sind
dagegen Lohnabzüge für Steuern, besondere Nahrung, Kleidung und
Unterkunft, die den Arbeitern gegeben werden, um es ihnen zu
ermöglichen, die Arbeit unter Berücksichtigung der hierfür geltenden
besonderen Verhältnisse fortzusetzen; das gleiche gilt für die
Lieferung von Werkzeug.
Artikel 15
- Alle gesetzlichen Bestimmungen über die Entschädigung von
Unfällen oder Krankheiten, die aus Arbeit herrühren, und alle
gesetzlichen Bestimmungen über die Entschädigung von Personen, deren
Unterhalt von Arbeitern zu bestreiten war, die gestorben oder invalid
geworden sind, finden in gleicher Weise wie auf freie Arbeiter auch auf
Personen Anwendung, die zu Zwangs- oder Pflichtarbeit herangezogen
werden, gleichviel ob jene gesetzlichen Bestimmungen in dem
betreffenden Gebiete bereits in Kraft sind oder künftig in Kraft treten.
- In jedem Falle hat die Behörde, die einen Arbeiter zur
Zwangs- oder Pflichtarbeit heranzieht, die Pflicht, seinen Unterhalt
sicherzustellen, wenn ein Unfall oder eine Krankheit als Folge seiner
Arbeitsleistung ihn ganz oder teilweise außerstand setzt, selbst für
sich zu sorgen. Diese Behörde ist ferner verpflichtet, Maßnahmen zu
treffen, um für den Fall, daß ein solcher Arbeiter infolge seiner
Beschäftigung arbeitsunfähig wird oder stirbt, den Unterhalt der
Personen sicherzustellen, den er tatsächlich bestritten hatte.
Artikel 16
- Personen, von denen Zwangs- oder Pflichtarbeit verlangt
wird, dürfen nicht in Gebiete gebracht werden, wo Ernährung und Klima
von den ihnen gewohnten Verhältnissen so erheblich abweichen, daß
daraus eine Gefährdung ihrer Gesundheit entsteht; ausgenommen bleiben
Fälle ganz besonderer Notwendigkeit.
- Keinesfalls darf eine solche Überführung von Arbeitern
zugelassen werden, wenn nicht alle Maßnahmen in bezug auf Hygiene und
Unterbringung, die für ihre Eingewöhnung und den Schutz ihrer
Gesundheit erforderlich sind, genau zur Anwendung gebracht werden
können.
- Wenn eine solche Überführung unvermeidlich ist, sind
Maßnahmen zur allmählichen Gewöhnung an die neuen Ernährungs- und
klimatischen Verhältnisse auf Grund zuständigen ärztlichen Rates zu
ergreifen.
- In Fällen, in denen von solchen Arbeitern eine ihnen
ungewohnte regelmäßige Arbeitsleistung verlangt wird, sind Maßnahmen zu
ergreifen, um sie daran zu gewöhnen. Dabei handelt es sich insbesondere
um allmähliche Einübung, Regelung der Arbeitszeit, Festsetzung von
Ruhepausen sowie um die etwa erforderliche Ergänzung und Verbesserung
ihrer Ernährung.
Artikel 17
Bevor die Anwendung von Zwangs- oder Pflichtarbeit für Bau-
oder Instandhaltungsarbeiten zugelassen wird, welche die Arbeiter zum
Verbleib an den Arbeitsstätten auf längere Zeit zwingt, hat die
zuständige Stelle sich davon zu überzeugen,
(1) daß alle notwendigen Maßnahmen ergriffen worden sind, um
die Gesundheit der Arbeiter zu schützen und ihnen die erforderliche
Arzthilfe zu gewährleisten und insbesondere, daß
- die Arbeiter vor Beginn ihrer Beschäftigung und in
bestimmten Zeitabständen während der Dauer ihrer Dienstleistung
ärztlich untersucht werden,
- Personal zur Gesundheitspflege in hinreichendem Maße
vorhanden ist wie auch Apotheken, Krankenstuben, Hospitäler und
Sachbedarf, die erforderlich sind, um allen Bedarfsfällen zu genügen,
und
- die gesundheitlichen Verhältnisse der Arbeitsstätten, die
Versorgung mit Trinkwasser, Lebensmitteln, Heizstoffen und
Kochausrüstung befriedigen und, wo es notwendig ist, Wohnung und
Kleidung in ausreichendem Maße zur Verfügung gestellt werden;
(2) daß geeignete Maßnahmen ergriffen worden sind, um den
Unterhalt der Familien der Arbeiter zu gewährleisten, insbesondere
durch Erleichterungen für eine gesicherte Übermittlung eines Teiles des
Lohnes an die Familie auf Verlangen oder mit Zustimmung des Arbeiters;
(3) daß die Reise der Arbeiter zum Arbeitsplatz und zurück auf Kosten und unter Verantwortung der Verwaltung erfolgt, welche die Reise dadurch erleichtern soll, daß sie weitestgehenden Gebrauch von allen verfügbaren Beförderungsmitteln macht;
(4) daß im Falle von Krankheit oder Unfall, die zu
Arbeitsunfähigkeit von einer gewissen Dauer führen, der Arbeiter auf
Kosten der Verwaltung in seine Heimat zurückbefördert wird;
(5) daß Arbeiter, die nach Beendigung der Zwangs- oder
Pflichtarbeit als freie Arbeiter zu verbleiben wünschen, die Erlaubnis
dazu erhalten, ohne vor Ablauf von zwei Jahren des Anspruches auf
kostenlose Rückbeförderung in die Heimat verlustig zu gehen.
Artikel 18
- Zwangs- oder Pflichtarbeit für die Beförderung von Personen
oder Gütern, wie Träger- und Bootsdienst, ist sobald wie möglich
abzuschaffen. Für die Zwischenzeit sollen Vorschriften der zuständigen
Stellen unter anderem festlegen
- die Verpflichtung, solche Arbeit nur zur Erleichterung
der Dienstreisen von Verwaltungsbeamten, zur Beförderung von
Regierungsgut und nur in Fällen von äußerster Dringlichkeit zur
Beförderung anderer Personen als Beamter zu gebrauchen,
- die Verpflichtung, für solche Beförderung nur Männer zu
verwenden, deren körperliche Eignung vorher durch ärztliche
Untersuchung, wo immer die Möglichkeit dazu besteht, festgestellt
worden ist, wobei, falls eine solche Untersuchung nicht möglich sein
sollte, derjenige, der Arbeiter dieser Art beschäftigt, sich unter
seiner Verantwortung zu versichern hat, daß sie körperlich befähigt
sind und nicht an einer ansteckenden Krankheit leiden,
- die Höchstlasten, die diese Arbeiter tragen dürfen,
- die Höchstentfernung von ihrem Wohnsitze, die ihnen auferlegt werden darf,
- die Höchstzahl der Tage innerhalb eines Monats oder eines
anderen Zeitraumes, für den sie verwendet werden dürfen, unter
Einrechnung der Tage, die sie für die Heimkehr benötigen,
- die Personen, die berechtigt sind, diese Art von Zwangs-
oder Pflichtarbeit in Anspruch zu nehmen, und das für diese
Beanspruchung zulässige Höchstausmaß.
- Bei Festsetzung der unter c), d) und e) des vorigen
Absatzes bezeichneten Höchstgrenzen hat die zuständige Stelle auf alle
wesentlichen Voraussetzungen Rücksicht zu nehmen einschließlich des
körperlichen Entwicklungsstandes der Bevölkerung, aus der die Arbeiter
entnommen werden, der Beschaffenheit des Gebietes, durch das ihr Weg
führt, und der klimatischen Verhältnisse. 3.Die zuständige Stelle hat
ferner dafür zu sorgen, daß die regelmäßige Tagesleistung dieser
Arbeiter nicht über eine Entfernung hinausgeht, die einer
durchschnittlichen achtstündigen Arbeitsleistung entspricht, wobei
neben der beförderten Last und der zurückgelegten Entfernung auch der
Zustand des Weges, die Jahreszeit und alle anderen wesentlichen
Voraussetzungen zu berücksichtigen sind, und daß, wenn zusätzliche
Wegeleistungen verlangt werden, für diese ein höheres als das
regelmäßige Entgelt gezahlt wird.
Artikel 19
- Die zuständige Stelle darf Zwangspflanzungen nur
genehmigen, um Hungersnot oder Lebensmittelmangel vorzubeugen, und
stets nur unter der Bedingung, daß die so gewonnenen Lebensmittel oder
Erzeugnisse im Eigentum der Person oder Gemeinschaft bleiben, die sie
erzeugt hat.
- Die Bestimmungen dieses Artikels dürfen nicht dazu führen,
daß dort, wo die Erzeugung nach Gesetz oder Gewohnheit auf einem
Gemeinschaftssystem beruht und die Erzeugnisse oder der Gewinn aus
ihrem Verkauf das Eigentum der Gemeinschaft bleiben, die Verpflichtung
der Mitglieder aufgehoben wird, die ihnen nach Gesetz oder Gewohnheit
für die Gemeinschaft obliegende Arbeit auszuführen.
Artikel 20
Gesetzliche Bestimmungen über Bestrafung einer ganzen
Gemeinschaft für Vergehen, die von einzelnen ihrer Mitglieder begangen
worden sind, dürfen Zwangs- oder Pflichtarbeit der Gemeinschaft als
Strafe nicht vorsehen.
Artikel 21
Im Bergbau darf Arbeit unter Tage als Zwangs- oder Pflichtarbeit nicht angewendet werden.
Artikel 22
Die jährlichen Berichte über die Maßnahmen zur Durchführung dieses Übereinkommens, welche die ratifizierenden Mitglieder dem Internationalen Arbeitsamt nach Artikel 22 der Verfassung der Internationalen Arbeitsorganisation vorzulegen verpflichtet sind,
müssen möglichst vollständige Angaben aus allen in Betracht kommenden
Gebieten enthalten über das Maß, in dem dort Zwangs- oder Pflichtarbeit
angewandt worden ist, die Zwecke, für die das geschehen ist, die
Krankheits- und Sterbeziffern, die Arbeitszeit, die Art der
Lohnzahlung, die Lohnsätze und alle sonst wesentlichen Angaben.
Artikel 23
- Zur wirksamen Durchführung der Bestimmungen dieses
Übereinkommens hat die zuständige Stelle vollständige und klare
Vorschriften über die Anwendung von Zwangs- oder Pflichtarbeit zu
erlassen.
- Diese Vorschriften müssen insbesondere Bestimmungen
enthalten, die es jeder der Zwangs- oder Pflichtarbeit unterworfenen
Person gestatten, alle Beschwerden über die ihr auferlegten
Arbeitsbedingungen vor die Behörden zu bringen, und welche die Gewähr
bieten, daß diese Beschwerden untersucht und auf ihre Stichhaltigkeit
geprüft werden.
Artikel 24
In allen Fällen sind geeignete Maßnahmen zur strengen
Durchführung der Vorschriften über den Gebrauch der Zwangs- oder
Pflichtarbeit zu ergreifen, sei es durch Ausdehnung der Befugnisse
eines etwa bestehenden Aufsichtsdienstes für freie Arbeit auf die
Beaufsichtigung der Zwangs- oder Pflichtarbeit, sei es in sonst
geeigneter Weise. Auch sind Maßnahmen zu treffen, damit die
bezeichneten Vorschriften zur Kenntnis der Personen gelangen, die der
Zwangs- oder Pflichtarbeit unterworfen werden.
Artikel 25
Die unberechtigte Auferlegung von Zwangs- oder Pflichtarbeit
ist unter Strafe zu stellen. Die Mitglieder, die dieses Übereinkommen
ratifizieren, verpflichten sich, dafür zu sorgen, daß die ergriffenen
Strafmaßnahmen wirksam sind und streng vollzogen werden.
...
Artikel 31
Der Verwaltungsrat des Internationalen Arbeitsamtes hat, sooft er es für nötig erachtet, der Allgemeinen Konferenz einen Bericht über die Durchführung dieses Übereinkommens zu
erstatten und zu prüfen, ob die Frage seiner gänzlichen oder teilweisen
Abänderung auf die Tagesordnung der Konferenz gesetzt werden soll.
[Der deutsche Text ist lediglich eine zusätzliche Übersetzung. Das
englische Orginal, das in internationalen Klagen zu verwenden ist,
finden Sie daher hier: https://www.ilo.org/ilolex/cgi-lex/convde.pl?C029 ]
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