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Rechtsanwalt Herbert Pochieser:
Die Begründungspflicht gilt nach wie vor
VwGH-Urteil 2009/08/0105 im RIS
Siehe auch Verwaltungsgerichtshofurteil 2009/08/0109 vom 20.10.2010
VORSICHT
FALLE: Der Verwaltungsgerichtshof hat durch eine Art von
Pauschalvorverurteilung von Langzeitsarbeitslosen die
Begründungspflicht wieder eingeschränkt
Siehe auch:
Nun
liegt das 1. Judikat des VwGH zur Begründungspflicht für Kursmaßnahme
nach § 9 Abs. 8 AlVG, auf das wir wie auf einen Bissen Brot gewartet
haben, vor. Hier die wesentlichen Aussagen des VwGH (zu einer Maßnahme
mit dem lautmalerischen Titel "Frauen für Frauen" in der Steiermark):
1. Aussage:
»Die belangte Behörde stellte zwar fest, die Beschwerdeführerin sei
seit 2001 arbeitslos, eine Vermittlung einer von der Beschwerdeführerin
gewünschten Arbeitsstelle (in den Bereichen Tourismus, Reisebüro,
Verwaltung oder Büro) sei dem AMS aber nicht möglich gewesen. Weiters
traf die belangte Behörde Feststellungen zum Ziel der zugewiesenen
Maßnahme. Die Teilnahme an der Maßnahme sei mit einem Orientierungs-
und Abklärungsbedarf hinsichtlich Qualifizierungsmöglichkeiten nach
über achtjähriger Arbeitslosigkeit begründet, da die Stellenvermittlung
durch fehlende oder nicht mehr aktuelle Qualifikationen wesentlich
erschwert sei. Die Gründe für die Teilnahme könnten sich auch aus dem
Gesamtverlauf der bisherigen Arbeitslosigkeit ergeben. Ein
Unterstützungsbedarf sei aufgrund der langen erfolglosen Arbeitssuche
augenscheinlich. Im Rahmen der Erstellung der Betreuungsvereinbarung
sei erklärt worden, welche Problemlage gegeben sei, wobei
ausführlichere Begründungen aufgrund der Rechtslage seit dem 1. Jänner
2008 nicht notwendig seien.
Damit werden aber keine
Feststellungen dazu getroffen, welche konkrete "Problemlage" bei der
Beschwerdeführerin vorliegt und ob die Teilnahme an der Maßnahme zur
Behebung dieser konkreten Problemlage notwendig oder nützlich
erscheint.
Die Beschwerdeführerin genießt - wie die
belangte Behörde zutreffend ausführt - keinen Berufsschutz (§ 9 Abs. 3
AIVG), sie kann sohin auch auf (ihr zumutbare) Tätigkeiten im
Hilfsarbeiterbereich vermittelt werden. Ausgehend hievon ist schon
unklar, welche Qualifikationen, die für eine Vermittlung in diesen
Tätigkeitsbereich notwendig (oder nützlich) sind, der
Beschwerdeführerin fehlen und durch die Maßnahme erworben werden
könnten. «
Kommentar dazu: wie dem letzten Absatz zu
entnehmen ist, muss sich die Behörde gerade auch bei
Langzeitarbeitslosen nach wie vor den Kopf darüber zerbrechen, welche
Qualifikationen durch eine Kursmaßnahme, wenn kein Berufsschutz mehr
vorhanden ist, vermittelt werden sollen/müssen.
2. Aussage:
»Im Zuge von Maßnahmen können zwar - nach § 9 Abs. 8 A1VG - auch
Arbeitserprobungen zur Überprüfung vorhandener oder im Rahmen der
Maßnahme erworbener Kenntnisse und Fertigkeiten sowie der
Einsatzmöglichkeiten in einem Betrieb stattfinden. Im Übrigen
ist aus dem Gesetz aber keine durch eine Sanktion nach § 10 A1VG
erzwingbare Maßnahme zur Überprüfung von Kenntnissen und Fertigkeiten
ableitbar. Die Zuweisung zu einer Maßnahme setzt vielmehr
voraus, dass eine Problemlage besteht, also etwa Kenntnisse und
Fertigkeiten, die für eine Vermittlung in zumutbare Beschäftigungen
notwendig (oder nützlich) sind, fehlen.
Anm.: die
Hervorhebung ist von mir (nicht im Original des VwGH-Judikats). Eine
wertvolle Aussage des Verwaltungsgerichtshof ist es auch, dass entgegen
der Praxis der Arbeitsämter noch nicht alles sanktionierbar ist.
3. Aussage:
»Dies ist aber vom Arbeitsmarktservice zu prüfen; die belangte Behörde
beruft sich in diesem Zusammenhang auch zu Recht darauf, dass Berater
des AMS als Experten auf diesem Gebiet anzusehen sind. Eine Beiziehung
von Dritten in diesem Zusammenhang erscheint zwar nicht ausgeschlossen,
eine Verweigerung der Teilnahme an einer Maßnahme zum Zwecke der
Feststellung einer allfälligen "Problemlage" durch einen Arbeitslosen
ist aber nicht nach § 10 A1VG sanktionierbar. Die Ermittlung der für
die Zuweisung einer Maßnahme erforderlichen Sachverhaltsvoraussetzungen
kann auch nach der Novelle BGBl. I Nr. 104/2007 nicht selbst Gegenstand
einer Maßnahme zur Wiedereingliederung in den Arbeitsmarkt sein (vgl. -
zur Rechtslage vor BGBl. I Nr. 104/2007 - das hg. Erkenntnis vom 1.
April 2009, Z1. 2006/08/0161).«
Anm.:
bedauerlicherweise ist der Verwaltungsgerichtshof auf die in der
Beschwerde unterbreitete Vorgangsweise, die sachlichen-fachlichen
Voraussetzungen für die Zuweisung durch den berufskundlichen
Sachverständigen zu überprüfen, um dem Arbeitsmarktservice an die Hand
zu gehen, nicht eingestiegen. Dies ist ein Wermutstropfen dieses
Judikats, wonach nunmehr und damit den Betreuern des
Arbeitsmarktservices Experten-Status eingeräumt wird; gänzlich
ausschließen mochte der Verwaltungsgerichtshof nicht, dass diese
"Experten-Tätigkeit" doch überprüft wird.
4. Aussage:
»Da von der belangten Behörde (auch) in Verkennung der Rechtslage zur
Frage, ob und gegebenenfalls welche konkrete Problemlage bei der
Beschwerdeführerin vorliegt, also allenfalls welche konkreten
Qualifikationen ihr für eine erfolgreiche Vermittlung in ihr zumutbare
Beschäftigungen fehlen, und ob die Teilnahme an der zugewiesenen
Maßnahme zur Behebung dieser Problemlage notwendig oder nützlich
erscheint, keine (ausreichenden) Feststellungen getroffen wurden,
erweist sich der angefochtene Bescheid als mit inhaltlicher
Rechtswidrigkeit belastet.«
Anm.: Hier erfolgt nochmals
eine klare Aussage des Verwaltungsgerichtshofes in Anknüpfung an seine
frühere Judikatur zur Anordnung von Maßnahmen, die weiter oben im
Erkenntnis (siehe Volltext) deutlich in Erinnerung ruft, dass eine
Defizitfeststellung nach der neuen Rechtslage keineswegs obsolet
sondern vorzunehmen ist.
Bewertung des Judikats zu § 9
Abs. 8 AlVG: das Judikat ist eine konsistente Fortführung der ständigen
Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes zur alten Rechtslage im Hinblick
auf die Neuformulierung des § 9 Abs. 8 AlVG. Mit dem Judikat zu
entnehmen ist, ist es dem Gesetzgeber nicht gelungen die alte Judikatur
des VwGH zu Maßnahmenrecht außer Kraft zu setzen. Die vom Gesetzgeber
und von den Arbeitsämtern – ich mag mich bis zum heutigen Tage mit dem
Begriff "Arbeitsmarktservice" in diesem Zusammenhang nicht wirklich
anfreunden – beabsichtigte Rechtloslegung von Langzeitarbeitslosen bei
der Verabreichung von Maßnahmen (im Insiders-Ausdruck auch fallweise
„Deppenkurse“ genannt) ist daher nicht gelungen. Bei der in
verschiedenen Rechtsbereichen (zum Beispiel vor allem vom
Verfassungsgerichtshof im Asylwesen zu verantwortenden) stattfindenden
Abdankung der Rechtspflege, kann dieses Judikat und diese Arbeit des
zuständigen Senats des Verwaltungsgerichtshofes gar nicht hoch genug
eingeschätzt werden.
5. Aussage:
Dank gebührt dem Verwaltungsgerichtshof auch für die weitere Klarstellung:
»Die Beschwerde rügt im Übrigen auch zu Recht, dass dem angefochtenen
Bescheid keine Feststellungen entnommen werden können, aus denen
abgeleitet werden könnte, dass eine Sperre für einen Zeitraum von acht
Wochen zu verhängen sei. Entgegen der in der Gegenschrift vertretenen
Rechtsmeinung ergibt sich die Sperre von acht Wochen nicht - ohne
Weiteres - "aus dem Gesetzestext", sondern setzt voraus, dass es sich
um eine weitere Pflichtverletzung (§ 10 Abs. 1 Z 1 bis 4 A1VG) handelt,
sodass eine Feststellung dazu zu treffen wäre, ob im Zeitraum seit dem
Erwerb der jüngsten Anwartschaft bereits eine frühere Pflichtverletzung
vorgelegen war.«
Diese Fehlerhaftigkeit von Bescheiden der Arbeitsamt-Landesgeschäftsstellen ist sehr häufig gegeben.
Großer Dank gebührt vor allem meiner Mandantin: ich kann immer wieder
nur betonen, dass ich ohne meine Mandanten, wie die durch die Aktion "
Frauen für Frauen " Betroffene, diese Arbeit nicht leisten könnte.
Anwaltliche Rechtskenntnis bleibt nur Rechtstheorie, wenn sie nicht
durch in den Anwalt gesetztes Vertrauen und beauftragte Beschwerden,
wie die gegenständliche, umgesetzt wird. Die betroffene Mandantin, die
sich nicht unterkriegen hat lassen und sich gegen das Arbeitsamt Murau,
das sie fortlaufend mit derartigen Maßnahmen belegte, heldenhaft wehrte
und nach wie vor wehren muss, ist eine wahre Botschafterin für das
Europäische Jahr gegen Armut und soziale Ausgrenzung. Als Rechtsanwalt
bin ich immer nur der Vertreter solcher wirklich Solidarität lebender
Menschen.
Vielleicht ist es für das heurige Jahr die
letzte Aussendung meinerseits, die ich als „Botschafter für das
europäische Jahr gegen Armut und soziale Ausgrenzung“ mache. Wie dem
vorliegenden Judikat zu entnehmen ist, wurde diese Arbeit bereits
geraume Zeit vor dieser formellen Bezeichnung aufgenommen und wird die
Arbeit und mein Projekt "mit (Verfassungs)Recht gegen Armut" auch nach
dem formellen Ende des " Europäischen Jahres gegen Armut und soziale
Ausgrenzung" fortgeführt werden (müssen). Sie wird fortgeführt werden
müssen, da das "europäische Jahr gegen Armut und soziale Ausgrenzung"
entgegen den vielfachen Bekundungen nicht nur keine Fortschritte,
sondern sogar Rückschritte gebracht hat (Stichwort: Sparpaket). Die
Schere zwischen Reich und Arm ist, wie letzte Berichte darstellten,
noch größer geworden. Eine Populistin, die in Wien anlässlich der
Wahlen versucht hat, auf dem Rücken von erwerbsarbeitslosen Menschen
Stimmen zu fangen, ist allerdings gescheitert. Ich sehe es als
positives Zeichen, das sich soziale Gewissenlosigkeit gegenüber
erwerbsarbeitslosen Menschen und Migranten politisch, zumindest bei
einem noch namhaften Teil der Bevölkerung, nicht rechnet.
Mit freundlichen (kollegialen) Grüßen
Rechtsanwalt
Dr. Herbert Pochieser eh.
Schottenfeldgasse 2-4
A-1070 Wien
Tel.: ++43 1 5238667
Fax: ++43 1 5238667-10
s1@hpochieser.at
Rechtsanwaltscode: R110832
Anmerkung
arbeitslosennetz: Vorzeitiger Jubel ist verfehlt. Das AMS wird so oder
so weiter den Druck erhöhen, solange die Arbeitslosen glauben, sie
könnten sich individuell durchwursteln und hätte es nicht nötig, sich
gemeinsam POLITISCH zu organisieren, zueinander sich solidarisch zu
verhalten und gemeinsam für die eigenen Rechte zu kämpfen. Wir
ermfehlen daher dringendst, Mitglied beim Verein Aktive Arbeitslose zuwerden!
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