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Geschäftszahl: 2004/08/0053 Entscheidungsdatum: 20051221 Norm AlVG 1977 §10 Abs1; BetreffDer Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Bernard und die Hofräte Dr. Müller, Dr. Köller, Dr. Moritz und Dr. Lehofer als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Müller, über die Beschwerde des W in I, vertreten durch Dr. Mario Mandl, Rechtsanwalt in 6020 Innsbruck, Andreas-Hofer-Straße 4/III, gegen den auf Grund eines Beschlusses des Ausschusses für Leistungsangelegenheiten ausgefertigten Bescheid der Landesgeschäftsstelle des Arbeitsmarktservice Tirol vom 22. Oktober 2003, Zl. LGSTi/V/1216/4392 02 02 51-702/2003, betreffend Verlust des Anspruches auf Notstandshilfe gemäß §§ 10 Abs. 1 und 38 AlVG 1977, zu Recht erkannt: SpruchDer angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben. Der Bund (Bundesminister für Wirtschaft und Arbeit) hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von EUR 991,20 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen. BegründungMit dem im Notstandshilfebezug stehenden Beschwerdeführer wurde von der regionalen Geschäftsstelle des Arbeitsmarktservice (AMS) Innsbruck am 8. September 2003 eine Niederschrift aufgenommen; demnach war dem Beschwerdeführer vom Arbeitsmarktservice am 15. Juli 2003 eine Beschäftigung als "20-er" Verkäufer (aus den vorgelegten Aktenteilen geht hervor, dass es sich beim "20-er" um eine Straßenzeitung handelt) beim Dienstgeber "20-er" mit einer Entlohnung (so wörtlich) "von brutto EUR Kollektiv, zuzüglich Unterkunft, Verpflegung etc. zugewiesen" worden, wobei als möglicher Arbeitsantritt der 2. September 2003 angegeben war. Nach dem vom Beschwerdeführer unterfertigten Vordruck hatte er gegen diese Beschäftigung den Einwand, dass er die Arbeit nicht annehmen werde und zwar mit der Begründung, dass es eine Bloßstellung sei, ihn als "Vorbestraften auf die Straße zu schicken", erhoben. Er empfinde die zugewiesene Beschäftigung als diskriminierend. Nach einem vom für den Beschwerdeführer zuständigen Berater angelegten Aktenvermerk sei der Beschwerdeführer am 1. September 2003 bei der ihm zugewiesenen Stelle als "20-er Verkäufer" vorstellig geworden und habe bekannt gegeben, dass er auf Grund seines Bekanntheitsgrades in der Stadt die Stelle nicht antreten werde, da dies für ihn "stigmatisierend" sei, weil ihn jeder kenne. Daraufhin habe "die Beratung" das Problem mit dem Beschwerdeführer eingehend besprochen und es sei für den nächsten Tag ein neuerlicher Termin "beim 20-er" mit einer näher bezeichneten Mitarbeiterin mit der Begründung, dass der Beschwerdeführer nicht nur in Innsbruck den "20-er" verkaufen könne, sondern "überall in Tirol (also z.B. auch Hall oder Schwaz oder Stainach, usw.)" festgesetzt worden. Der Beschwerdeführer sei am nächsten Tag bei der Stelle erschienen, habe jedoch erklärt, "dass er doch nicht den Job als 20-er Verkäufer anzunehmen gedenke". Daher sei "seitens der Beratung die Verhängung einer Sperrfrist gem. § 10 gerechtfertigt". Der daraufhin ergangene Bescheid der regionalen Geschäftsstelle des AMS vom 10. September 2003 findet sich nicht bei den - offenkundig nur unvollständig vorgelegten - Verwaltungsakten, wohl aber findet sich die vom Beschwerdeführer erhobene Berufung im vorgelegten Berufungsakt. Darin führte der Beschwerdeführer aus, dass er nicht bestreite, sich geweigert zu haben, die angebotene "Arbeitsstelle" beim "Projekt 20-er" anzunehmen. Abgesehen von der Überlegung, ob es sich bei der angebotenen Stelle um eine Arbeitsstelle im engeren Sinne oder nicht vielmehr um eine "Maßnahme zur Wiedereingliederung in den Arbeitsmarkt handelt" und daher die Begründung für den angefochtenen Beschluss formal unrichtig sei, müsse jedenfalls bei entsprechender Anwendung des § 10 Abs. 1 AlVG darauf abgestellt werden, ob dem Arbeitslosen die Annahme einer ihm von der regionalen Geschäftsstelle zugewiesenen Beschäftigung zumutbar sei. Dazu stelle er fest, dass die Tätigkeit als "20-er" Verkäufer faktisch darin bestehe, auf öffentlichen Plätzen und Straßen eine Zeitung zu verkaufen, die sich selbst als Straßenzeitung deklariere, mit dem erklärten Ziel, Obdachlosen oder anderweitig "sozial deprivierten Personen" die Chance einer Wiedereingliederung in den Arbeitsmarkt zu eröffnen. Eine derartige Tätigkeit ziehe im öffentlichen Bereich einer mittelgroßen Stadt wie Innsbruck - anders als "in echten Weltstädten wie etwa Wien oder München" - zwangsläufig eine "stigmatisierende" Wirkung nach sich. Es sei fraglich, ob die angebotene Stelle seinen Fähigkeiten angemessen sei und ob nicht sein auf Grund der "Langzeitbeschäftigungslosigkeit ohnehin bereits gemindertes Selbstwertgefühl" noch weiter herabgesetzt und dadurch zumindest indirekt seine "psychische Gesundheit" gefährdet würde. Eine Beraterin des Beschwerdeführers nahm zu dieser Berufung dahin Stellung, dass der Beschwerdeführer durch seine Biografie, seine zahlreichen zusätzlichen Vermittlungseinschränkungen "(Leumund, Schulden etc.)", und sein Verhalten eine Vermittlung auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt beinahe unmöglich mache. Er habe bereits des Öfteren ohne Erfolg "niederschwelligste Kursangebote" besucht. In den letzten Jahren habe er eine Arbeitserprobung im Metallbereich vorzeitig beendet bzw. bereits andere Stellenangebote "in SÖBs" vereitelt, sodass ein Stellenangebot bei der Straßenzeitung die einzige Vermittlungsmöglichkeit für ihn gewesen sei. Aus der Sicht der Beratung scheine daher "eine Verhängung der Ausschlussfrist nach wie vor gerechtfertigt". Mit dem nunmehr in Beschwerde gezogenen Bescheid wies die belangte Behörde die Berufung des Beschwerdeführers ab. Nach Zitierung der angewendeten Gesetzesvorschriften und nach Wiedergabe der Niederschrift vom 8. September 2003, des dazu angelegten Aktenvermerkes und unter Hinweis auf die Berufung des Beschwerdeführers sowie die Stellungnahme des AMS zu dieser Berufung, erschöpft sich die Begründung des angefochtenen Bescheides im Folgenden: "Nach den Bestimmungen des AlVG müssen Sie dem Arbeitsmarkt entsprechend zur Verfügung stehen bzw. bereit sein, Ihre Arbeitslosigkeit auch tatsächlich beenden zu helfen. Hiezu hätte Ihre Bereitschaft gehört, die gegenständliche Arbeit doch entsprechend anzunehmen oder zumindest einen Versuch zu starten. Da Sie hiezu nicht bereit waren, musste das Arbeitsmarktservice Tirol im Ausschuss für Leistungsangelegenheiten (bestehend aus Vertretern der Arbeiterkammer, der Wirtschaftskammer und der ho. Landesgeschäftsstelle) bestätigen." Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende, Rechtswidrigkeit des Inhaltes und Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften geltend machende Beschwerde. Die belangte Behörde hat die Verwaltungsakten (unvollständig) vorgelegt und eine Gegenschrift erstattet, in der sie den Beschwerdeausführungen entgegentritt und die kostenpflichtige Abweisung der Beschwerde beantragt. Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen: Die Beschwerde behauptet der Sache nach die Unzulässigkeit der Zuweisung zur in Rede stehenden Beschäftigung als Verkäufer einer so genannten "Straßenzeitung" wegen der niedrigen Entlohnung und wegen des mit dieser Beschäftigung nach Auffassung des Beschwerdeführers eintretenden weiteren Absinkens des Wertes der Arbeitskaft des Beschwerdeführers auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt. Die nur "auf kurze Zeit befristete" Beschäftigung würde überdies zu einem deutlich reduzierten Anspruch auf Arbeitslosengeld führen. Im Rahmen des solcherart umschriebenen Beschwerdepunktes hat der Verwaltungsgerichtshof die Frage der Zulässigkeit der Zuweisung zu der strittigen Beschäftigung vor dem Hintergrund seiner ständigen Rechtsprechung zu untersuchen. Nach § 9 Abs. 1 AlVG gilt ein Arbeitsloser nur dann als arbeitswillig, wenn er bereit ist,
Zumutbar ist gemäß § 9 Abs. 2 AlVG eine Beschäftigung, die den körperlichen Fähigkeiten des Arbeitslosen angemessen ist, seine Gesundheit und Sittlichkeit nicht gefährdet, angemessen entlohnt ist und dem Arbeitslosen eine künftige Verwendung in seinem Beruf nicht wesentlich erschwert. Die letzte Voraussetzung bleibt bei der Beurteilung, ob die Beschäftigung zumutbar ist, außer Betracht, wenn der Anspruch auf den Bezug des Arbeitslosengeldes erschöpft ist und keine Aussicht besteht, dass der Arbeitslose in absehbarer Zeit in seinem Beruf eine Beschäftigung findet. Eine Beschäftigung außerhalb des Wohn- oder Aufenthaltsortes des Arbeitslosen ist gemäß § 9 Abs. 3 AlVG zumutbar, wenn hiedurch die Versorgung seiner Familienangehörigen, zu deren Unterhalt er verpflichtet ist, nicht gefährdet wird und am Orte der Beschäftigung, wenn eine tägliche Rückkehr an den Wohnort nicht möglich ist, entsprechende Unterkunftsmöglichkeiten bestehen. Nach der Aktenlage war zunächst vorgesehen, dass der Beschwerdeführer den "20-er" in Innsbruck verkaufen sollte. Auf den Einwand, darin liege eine öffentliche "Bloßstellung" und Diskriminierung (gemeint: an seinem Wohnort Innsbruck), wurde ein neuerlicher Vorsprachetermin für den Beschwerdeführer festgesetzt, ausweislich eines darüber angelegten Aktenvermerks mit der Begründung, dass er "nicht nur in Ibk. den 20-er verkaufen könne, sondern überall in Tirol (also z.B. auch in Hall oder Schwaz oder Stainach usw.)", worauf der Beschwerdeführer die Annahme der Stelle endgültig verweigerte. Der angefochtene Bescheid enthält - ungeachtet der mehrfachen, in seiner Berufung gegen die Annahme der Zumutbarkeit dieser Beschäftigung erhobenen Einwände des Beschwerdeführers - weder zur Eignung des Beschwerdeführers noch zur Zumutbarkeit der zugewiesenen Stelle eine Begründung. Die belangte Behörde verweist nur auf die Verpflichtung des Beschwerdeführers, dem Arbeitsmarkt zur Verfügung zu stehen und bereit zu sein, die Arbeitslosigkeit zu beenden. Diese Verpflichtung besteht jedoch - wie § 9 Abs. 2 und 3 AlVG zeigen - nicht uneingeschränkt. Wenn ein Arbeitsloser die Zumutbarkeit einer zugewiesenen Arbeitsstelle gegenüber dem AMS bestreitet, dann hat sich das AMS mit dieser Frage in der Begründung seines Bescheides auch dann auseinander zu setzen, wenn es die Einwände nicht für berechtigt hält. Das AMS hat insbesondere auch darzutun, welche Anforderungen mit der zugewiesenen Beschäftigung verbunden sind und ob der Beschwerdeführer nach seinen geistigen und körperlichen Fähigkeiten diesen Anforderungen genügt, sowie dass mit der in Aussicht genommenen Stelle auch eine konkret anzugebende, angemessene, insbesondere dem in Betracht kommenden Kollektivvertrag entsprechende Entlohnung verbunden ist und (hier:) eine kollektivvertraglich festgelegte Mindestentlohnung insbesondere nicht nur dann erreicht wird, wenn der Beschwerdeführer entsprechend viele Zeitungen verkaufen kann. Darüber hinaus hat sich der Beschwerdeführer im gesamten Verfahren auf die diskriminierende Wirkung der zugewiesenen Beschäftigung berufen. Die belangte Behörde hat sich auch zu dieser Frage nicht geäußert. Die regionale Geschäftsstelle des AMS hat offenbar anerkannt, dass mit der in Aussicht genommenen Beschäftigung für den Beschwerdeführer eine diskriminierende Wirkung verbunden sein kann, weil seine darauf gestützte Weigerung, der Beschäftigung in Innsbruck nachzugehen, als gerechtfertigt anerkannt worden ist. Wenn aber eine Beschäftigung (aus welchen Gründen immer - Feststellungen der belangten Behörde dazu liegen nicht vor) nach Ansicht des AMS diskriminierend ("bloßstellend") ist, weil z.B. allgemein bekannt wäre, dass der "20-er" im Allgemeinen nur von Personen mit Vorstrafen verkauft wird, dann dürfte eine arbeitslose Person zu einer solchen Beschäftigung unter Androhung der Sanktion des § 10 Abs. 1 AlVG nicht verhalten werden, so wertvoll derartige Beschäftigungsprojekte für darin (freiwillig) Tätige auch sein mögen, und zwar unabhängig davon, wie wahrscheinlich es ist, dass der Beschwerdeführer bei dieser Tätigkeit von Familienmitgliedern, Freunden oder sonstigen Bekannten angetroffen werden könnte. Die belangte Behörde hätte angesichts der Ungewöhnlichkeit der angebotenen Arbeitsbedingungen (danach sollte sich der Beschwerdeführer den Ort seiner Arbeitsleistung frei wählen können) auch Feststellungen dazu zu treffen gehabt, ob es sich - angesichts einer anscheinend fehlenden Bindung des Beschäftigten an den Arbeitsort (genauere Feststellungen fehlen auch hier) - bei der in Aussicht genommenen Beschäftigung überhaupt um eine am allgemeinen Arbeitsmarkt angebotene versicherungspflichtige Beschäftigung oder um eine Maßnahme (z.B. einen bloßen Transitarbeitsplatz) handelte, was der Sache nach nicht nur der Beschwerdeführer in seiner Berufung behauptet hat, sondern wofür es entsprechende Hinweise im Akt, aber auch im (derzeitigen) Internet-Auftritt des "20-er" gibt (wonach dort überhaupt nur sechs, auf ein Jahr befristete Transitarbeitsplätze angeboten werden) und worauf auch die behauptete Befristung der zugewiesenen Stelle auf ein Jahr hindeutet, die von der belangten Behörde in ihrer Gegenschrift nicht bestritten wurde (zur Unzulässigkeit der Zuweisung eines Transitarbeitsplatzes unter Entfall der Geldleistungen nach dem AlVG vgl. das nach Erlassung des angefochtenen Bescheides ergangene Erkenntnis vom 21. April 2004, Zl. 2002/08/0262). Da somit der Sachverhalt in mehrfacher Hinsicht ergänzungsbedürftig geblieben ist, war der angefochtene Bescheid gemäß § 42 Abs. 2 Z. 3 lit. b VwGG aufzuheben. Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. II Nr. 333/2003. Wien, am 21. Dezember 2005 Dokumentnummer JWT/2004080053/20051221X00 Entscheidungstext im RIS
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