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Parteiengehör: Ihr großer Auftritt! (§ 45 Abs. 3 AVG)
Was ist das Parteiengehör?
Das Recht auf Parteiengehör gehört zu den fundamentalen
Grundsätzen jedes rechtsstaatlichen Verwaltungsverfahren (VwGH
2007/18/0748 RS 2) und wird dennoch allzuoft vom AMS missachtet
und führt daher relativ oft zur Aufhebung von Bezugssperren durch
den VwGH. Gegenstand des Parteiengehörs ist der von der Behörde
festzustellende Sachverhalt, das Ergebnis des
Ermittlungsverfahrens (VwGH 93/09/0124 RS 2).
Welche Bedeutung hat das Parteiengehör für das Verfahren?
Das AMS darf also nur jene Tatsachen für die Begründung seiner
Entscheidungen verwenden, die Ihnen als Partei vorher ausdrücklich
vorgehalten worden sind (VwGH 91/02/0142 RS 3).
Wie muss das AMS bzw. eine Behörde das Perteiengehör mir
gewähren?
- Das Parteiengehör hat das AMS amtswegig (von sich aus)
zu gewähren (VwGH
98/08/0355 RS 4)
- Das Parteiengehör muss „in förmlicher und für die
Partei erkennbarer Weise“ und „ungeschmälert“ gewährt
werden (VwGH 2008/08/0061 RS 3, 2005/12/0157 RS 5)
- Es muss eine „angemessene Frist“ eingeräumt werden,
der Termin muß also rechtzeitig bekannt gegeben werden
(VwGH 2005/12/0157 RS, 98/08/0355
RS 4)
- Das Parteiengehör muss hinsichtlich des gesamten Inhalts
der Beweisaufnahme erteilt werden (VwGH 2008/08/0061
RS 3)
- Bei einer Schätzung sind „Schätzungsmethode, die der Schätzung
zu Grunde gelegten Sachverhaltsannahmen und die Ableitung der
Schätzungsergebnisse darzulegen“ (VwGH 2007/08/0126 RS 1)
- Die Behörde muss Parteiengehör auch über Tatsachen,
die sie für offenkundig oder allgemein bekannt hält,
gewähren (VwGH 90/04/0265 RS 13 + 14), aber nicht über
Tatsachen, die Ihnen als Partei ohnedies bekannt sind, wenn sie
diese z.B. selbst als Beweismitteln eingebracht haben. (VwGH
2009/10/0028 RS 3)
- Nicht nur der Inhalt von Zeugenaussagen und Expertengutachten
ist zu nennen, sondern auch die Namen der Zeugen um „um Einwände
hinsichtlich deren Glaubwürdigkeit zu ermöglichen“ (VwGH
85/08/0149 RS 1) bzw. „Gründe für eine unrichtige Aussage durch
diese Person hinzuweisen“ (VwGH 2007/18/0748 RS 2) und Namen der
Experten, um „allfällige Einwendungen gegen die Person des
Sachverständigen oder seine Eignung vorzubringen“ (VwGH
95/10/0034 RS 1)
- Alle Beweise müssen vollständig vorgelegt
werden: „In einem rechtsstaatlichen Verfahren darf es keine
geheimen Beweismittel geben; wenn sich die belangte Behörde in
ihren Feststellungen auf ein Beweismittel stützt, hat sie den
Verfahrensparteien zuvor hiezu Gelegenheit zur Stellungnahme zu
geben. Da der Beschwerdeführerin nur ein unvollständiges
Gutachten übermittelt wurde, war es ihr nicht möglich, sich mit
für das Ergebnis des Gutachtens wesentlichen Annahmen
auseinander zu setzen;“ (VwGH 2002/03/0273 RS 5)
- Das Parteiengehör muss aber nicht die rechtliche Würdigung der
Tatsachen umfassen (z.B. VwGH 2008/18/0657 RS 1) und auch nicht
welche weitere Vorgangsweise die Behörde ins Auge fasst.
(2007/08/0182 RS 1)
- „Den Parteien ist im Hinblick auf § 45 Abs 3 AVG für ihre
Stellungnahme eine ausreichende Frist einzuräumen; so
ist auch zur Stellungnahme unter Zuhilfenahme eines
Privatgutachtens zu den Ermittlungsergebnissen, denen nur in
dieser Weise wirksam entgegengetreten werden könnte, von der
Behörde eine – den Umständen nach – angemessene Frist zu
gewähren.“ (VwGH 2009/12/0096 RS 2)
- Wenn Sie von Ihrem Recht auf Akteinsicht nicht Gebrauch
machen, ist das keine Grund für die Behörde, kein Parteiengehör
zu gewähren. „Nur die ausdrückliche Aufforderung zur
Akteneinsicht zum Zwecke der Kenntnisnahme von Ergebnissen des
Ermittlungsverfahrens kann die Mitteilung dieser Ergebnisse
ersetzen“ (VwGH 2011/01/0129 RS 2)
- Eine Verletzung der „Mitwirkungspflicht“ „enthebt die
Behörde aber nicht von ihrer Verpflichtung, den
entscheidungswesentlichen Sachverhalt überhaupt festzustellen,
und auch weder ihrer Verpflichtung zur Gewährung von
Parteiengehör noch ihrer Begründungspflicht.“ (VwGH 2008/09/0189
RS 3)
- Ändert sich im Zuge eines Verfahrens das zugrunde
liegende Gesetz, „so muss den Parteien, selbst wenn
Ihnen während der Geltung der früheren Rechtslage bereits das
rechtliche Gehör gewährt worden ist, neuerlich
ausdrücklich die Gelegenheit zur Äußerung eingeräumt
werden, gleichgültig, ob die Änderung der Rechtslage während des
Verfahrens in einer höheren Instanz ... eingetreten ist.“ (VwGH
2006/07/0088 RS 1)
- Es „ist den Parteien auch im Berufungsverfahren in gleicher
Weise Gelegenheit zu geben, vom Ergebnis der Beweisaufnahme
Kenntnis und dazu Stellung zu nehmen.“ Und zwar weil die Behörde
„etwa im erstinstanzlichen Bescheid fehlende Feststellungen
nachholen will bzw. als sie ihrer Entscheidung in einem
wesentlichen Punkt einen anderen Sachverhalt unterstellen will
als die Behörde erster Instanz.“ (VwGH 2008/22/0168 RS 1). Beim
AMS in der Regel nicht relevant, da es keine weiteren Parteien
gibt. Auch das Unternehmen in das vermittelt wird, hat keine
Parteienstellung!
Bezüglich AMS-Bezugssperren hat der VwGH die meisten genannten
Gründe auch in einem eigenen Rechtssatz zusammen gefaßt (VwGH
98/08/0355)
Was kann ich beim Parteiengehör machen?
Das Parteiengehör umfasst aber nicht nur das Recht, vom Ergebnis
einer Beweisaufnahme Kenntnis und dazu Stellung zu nehmen, sondern
es muss Ihnen laut VwGH 2005/12/0157 RS 6 auch ausdrücklich
Gelegenheit geboten werden,
- Vom Ergebnis der
Beweisaufnahme Kenntnis zu nehmen und dazu Stellung zu
nehmen.
- Wenn das AMS dabei nicht von sich aus alles offen legt eine Akteinsicht
nehmen bzw. verlangen.
- Vorbringen zu gegnerischen
Behauptungen zu machen, diese zu widerlegen versuchen.
- Beweisanträge zu
stellen (z.B. Zeugen laden, Unterlagen herbei schaffen, ...).
Siehe: Beweise
- Ergänzende Tatsachenbehauptungen
aufzustellen.
- Überhaupt die Streitsache
erörtern.
- Eine Äußerung zu den rechtlichen
Konsequenzen der Ergebnisse des Ermittlungsverfahrens
für die Lösung des Rechtsfalles abzugeben (VwGH 1547/79).
- Die Rechtsbelehrungspflicht
einfordern und sich über Ihre Rechte und möglichen
Verfahrenschritte anleiten lassen
Siehe Rechtsbelehrungspflicht
Welche Rechtsfolgen hat die Verletzung des Parteiengehörs?
„Bezieht die belangte Behörde in ihre rechtliche Würdigung
Sachverhaltselemente ein, die dem Beschwerdeführer nicht bekannt
waren, verstößt sie gegen das auch im Verwaltungsverfahren
anerkannte 'Überraschungsverbot'“ (VwGH 93/10/0019 RS 1)
In erster Instanz (Erstbescheid, Sperrbescheid):
- Leider gering, denn die „Zurückverweisung nach § 66
Abs. 2 AVG wegen Ermittlungsmängeln ist nicht gerechtfertigt ...
weil im Berufungsverfahren die Möglichkeit der Sanierung der
Verletzung des Parteiengehörs besteht.“ (VwGH 2009/07/0094 RS
4). Sie müssen also gegen diesen Bescheid berufen. Darum sind
auch die Erstbescheide in erster Instanz so mangelhaft. Eine
Dienstaufsichtsbeschwerde wäre da aber dennoch angebracht.
In zweiter Instanz:
- Stellt der Verwaltungsgerichtshof in seinem Urteil die
Verletzung des Parteiengehörs fest, so kann er dieses aufheben.
Zustellung des VwGH-Urteils (an ihren Rechtsanwalt) zur
Wiederaufnahme des Verfahrens geltend machen können. Die
derzeitige Praxis scheint zu sein, dass das
Bundesverwaltungsgericht dann eine Neuverhandlung macht und die
Verfahrensverletzung einfach nachholt. Ob das wirklich
rechtskonform ist, ist eine gute Frage, weil bislang der
Verwaltungsgerichtshof nur kassatorisch tätig werden konnte, das
heißt die Bescheide bzw. Urteile nur aufheben konnte, womit im
Falle einer Bezugssperre diese unwiderruflich aufgehoben war.
- Der Mangel beim Parteiengehör führt nur dann zur Aufhebung des
Bescheides „wenn die Behörde bei Vermeidung dieses Mangels zu
einem anderen Ergebnis kommen konnte“ aber nicht „wenn sich der
Beschwerdeführer darauf beschränkt hat, einen Verfahrensmangel
aufzuzeigen, ohne jedoch die ihm im angefochtenen Bescheid
angelasteten Tathandlungen konkret zu bekämpfen und ohne
darzulegen, was er vorgebracht hätte, wenn der behauptete
Verfahrensmangel nicht vorgelegen wäre.“ (VwGH 2008/09/0259 RS
1).
Siehe auch:
Musterbriefe
Copyright: Mag. Ing. Martin Mair
Quelle: Erste Hilfe Handbuch für Arbeitslose -->
https://www.aktive-arbeitslose.at/erstehilfehandbuch/index.html
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